Man kann etwas tun
(ZEIT, Dossier, 17. Juli 08) Interview (Auszug) mit Claus Wächtler, leitender Arzt der Abteilung Geronto-Psychologie in der Asklepios Klinik Nord in Hamburg.
Wächtler: Wir haben das Problem, daß wir einerseits eine Demenz vom Alzheimer-Typ heute weit eher und zuverlässiger erkennen können als früher, daß es aber andererseits nach wie vor keine Möglichkeit gibt, die Krankheit zu heilen. Trotzdem halte ich eine frühe Diagnose für wichtig. Ich hatte zum Beispiel einen Patienten, der spielte exzellent Schach, war noch berufstätig, aber wenn er abends nach Hause kam, stellte er seine Schuhe in den Eisschrank. Da sorgt eine eindeutige Diagnose auch für Verständnis und Klarheit, selbst wenn sie niederschmetternd ist. Vor allem aber gibt es durchaus Möglichkeiten, gegen die Alz- heimerkrankheit anzugehen, auch wenn sie nicht zu stoppen ist.
ZEIT: Welche Möglichkeiten sind das?
Wächtler: Erstens läßt sich das Fortschreiten der Krankheit mit den existierenden Antidemtiva durchaus um etwa ein bis zwei Jahre verzögern. Wenn man bedenkt, daß die durchschnittliche Lebenszeit zwischen Diagnose und Tod nur sieben Jahre beträgt, ist das gar nicht so wenig. Zweitens lassen sich die aus der Krankheit häufig folgenden Depressionen oder Angststörungen mit Psychopharmaka oft erfolgreich behandeln. Und drittens kennen wir eine Reihe nichtmedikamentöser Verfahren, deren Wirksam- keit inzwischen erwiesen sind.
ZEIT: Das so genannte Gehirnjogging?
Wächtler: Genau das. Wir wissen, daß ein zwei- bis dreimal pro Woche durchgeführtes Training der kognitiven Fähigkeiten, zum Beispiel durch Denksportaufgaben oder Auswendiglernen von Gedichten, bei Erkrankten im Frühstadium den Abbau der Hirnleistung verlangsamen kann. Regelmäßige körperliche Aktivität kann den Effekt noch erhöhen. Auch mit Hilfe psychotherapeutischer Verfahren wei Verhaltentherapie oder tiefenpsychologisch fundierter Gesprächstherapie läßt sich der Alltag oft besser bewältigen.
ZEIT: Brauchen nicht auch die Angehörigen therapeutische Unterstützung?
Wächtler: Sechs von zehn Erkrankten werden daheim gepflegt. Viele Menschen betreuen den Partner, die Mutter oder den Vater ruch umd die Uhr, oft ohne jedes emotionale Feedback, mitunter werden sie nicht einmal mehr erkannt, haben sogar mit Aggres- sivität vonseiten des Erkrankten zu kämpfen. Da braucht es nicht nur finanzielle Unterstützung durch die Sozialversicherung, son- dern auch seelische durch Selbsthilfegruppen oder Therapeuten. Sonst werden bald auch die pflegenden Angehörigen krank. De- menz gilt nicht umsonst auch als "Angehörigenkrankheit."
ZEIT: Muß man den Umgang mit einem dementen Menschen im fortgeschrittenen Stadium nicht ohnehin von Grund auf lernen?
Wächtler: Ja, das muß man. Deshalb kommt auch irgendwann meist der Punkt, an dem pflegende Angehörige, die oft selbst sehr alt sind, auch bei bestehender Unterstützung überfordert sind. Dann müssen geschulte, professionelle Pflegekräfte die Betreuung übernehmen und ein für den Erkrankten optimales Umfeld schaf- fen, beginnend bei Räumen, in denen er sich nicht verirrt, bis hin zur sinnvollen Tagesbeschäftigung.
ZEIT: Da gibt es in vielen Pflegeheimen aber einigen Nachholbedarf?
Wächtler: Richtig, deshalb ist das auch als Appell gedacht. Die Gesellschaft hat nicht nur die Aufgabe, endlich Medikamente zu finden, die die Krankheit aufhalten oder sogar verhindern können. Sie muß auch andere Behandlungsformen unterstützen. Wir brauchen mehr im Umgang mit Demenzkranken geschulte ehrenamtliche und professionelle Helfer. Wir brauchen mehr Betreuungseinrichtungen, von Wohngemeinschaften für Demenzkranken bis zu speziellen Pflegeheimen.
ZEIT: Das dürfte nicht billig werden.
Wächtler: Mag sein, aber wir haben es hier auch mit einem nicht ganz kleinen Problem zu tun. Unter der Vorgabe, daß es weiterhin nicht gelingt, die Krankheit zu heilen, wird die Zahl der Demenz- kranken in Deutschland jedes Jahr um mindestens 100.000 stei- gen. Im Jahre 2030 werden weit über zwei Millionen Menschen and er Krankheit leiden. Viele davon werden allein leben, was das Betreuungsproblem noch vergrößert.
ZEIT: Und darauf muß sich die Gesellschaft einstellen?
Wächtler: Ja, und zwar die ganze Gesellschaft. Nehmen Sie das Beispiel Krankenhaus. Fast alle Demenzerkrankten, die in Pfle- geheimen oder zu Hause leben, müssen irgendwann auch wegen körperlicher Erkrankungen in die Klinik. Dort sind Ärzte und Pflegepersonal in der Regel überhaupt nicht auf den Umgang mit Patienten eingestellt, die alle fünf Minuten vergessen, wo sie sind. wir haben uns hier in der Asklepios Klinik Nord das demenz- freundliche Krankenhaus zum Ziel gesetzt.
ZEIT: Es heißt, durch eine bestimmte Lebensweise lasse sich das Risiko, an Demenz zu erkranken, reduzieren.
Wächtler: Man kann wissentschaftlich abgesichert einige Empfehlungen zur Prävention geben. Es sind dieselben, die auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten. Treiben Sie Sport, halten Sie ihr Gehirn in Schwung, ernähren Sie sich gesund, das heißt viel Obst, viel Gemüse, wenig Fleisch, und lassen Sie auch Erkran- kungen, die zu Gefäßschäden führen, insbesondere Bluthochdruck, optimal behandeln.