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Christliche Soziallehre ist praktische Philosophie

Bewahren wird zur Lebensrettung der Humanität - Der Arbeitnehmer  ist nicht nur ein Kostenfaktor - Arbeit ist wertvoller als alle Reichtümer an äußeren Gü-tern - Freiheit als Optionsmaximierung ist eine idiotische Freiheit - Der homo kalkulator ist eine Karrikatur des Menschen - Gebraucht wird eine christliche Sozialbewegung, die etwas bewegt. Von NORBERT BLÜM, 1982 - 1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Rheinischer Merkur, 46/2005

... "Was hast Du dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan?" - Die aus dem Matthäusevangelium entlehnte Frage entscheidet alles. "Du" wirst ge- fragt. Keinem Kollektiv, keinem abstrakten Adressaten wird die Gerechtigkeits- frage gestellt. Gefragt wird nach den "Taten", nicht nach "Theorien". Das Krite- rium der Taten sind die anderen, Menschen, die die Bibel als Gottes Kinder be-zeichnet. Deshalb sich alle Menchen Geschwister. Diese doppelte Einsicht - Got- teskindschaft und Geschwisterlichkeit - ist das stärkste Fundament der Würde des Menschen und der beständigste Antrieb der Solidarität. Menschenwürde und Solidarität sind also von Gott gegeben.       

Der Mensch ist das Wesen, das sich selbst transzentriert: vertikal zu Gott und horizontal zu den Menschen. Der Mensch wird zuerst er selbst, indem er sich an-deren zuwendet. Er wird nur als soziales Wesen ein individuelles und nur als in-dividuelles ein soziales...

In der Integration der beiden Seiten seines Wesens zur Person liegt die spezifi-sche Differenz des christlichen Menschenbildes zu liberalistischen und sozialisti- schen Vereinseitigungen. Der Irrtum des Sozialismus und des Liberalismus liegt darin, daß sie sie Teilwahrheiten zu ganzen Wahrheiten erklärt haben: Der Li- beralismus die individuelle Natur, der Sozialismus die soziale Natur des Men-schen. Beide sind gescheitert.                                                                             Aber die Folgen sieht man bis heute: Die reichsten 358 Milliardäre der Welt be-sitzen ein Vermögen, das größer ist als das Einkommen der Hälfte der Weltbe-völkerung, 80 Prozent der Weltbevölkkerung besitzen knappe 20 Prozent der Er- dengüter, und 20 Prozent haben 80 Prozent des Reichtums beschlagnammt. Das ist Diebstahl. 250 Millionen Kinder sind in den gleichen Regionen zur Arbeit ge- zwungen, in denen 900 Millionen Erwachsene arbeitslos sind. Das ist politische Schizophrenie. 1970 waren die 15 reichsten Länder 40-mal so reich wie die 15 ärmsten der Erde. Heute beträgt der Abstand das 170-fache. Das ist die Bestäti-gung einer marxistischen Diagnose: Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer...                                                                                                               Derzeit hat der Neoliberalismus mit seinem Bekenntnis zu Wettbewerb, Kosten- senkung und Deregulierung die weltweite Führung. Nun ist der Wettbewerb ein nützliches Instrument des Leistungsanreizes, und der Markt die klügste Institu-tion der Bedürfnisermittlung. Marktwirtschaft ist zudem eine Form freiheitssi-chernder Machverteilung. Wettbewerb und Markt sind jedoch keine ausreichen- de Bedingung einer guten Gesellschaft. Der Mensch ist nicht lediglich Homo oeconomicus. Selbst Adam Smith, der Erzvater des Kapitalimus, wußte, daß    Wettbewerb gezügelt werden muß...                                                                 Der homo kalkulator ist eine Karrikatur des Menschen, weil kein Mensch es aushält, ständig seine Vorteil auszurechnen. Die Logik des do ut des ruiniert die Mitmenschlichkeit. Freiheit als Optionsmaximierung ist eine idiotische Freiheit. Nur der Idiot kennt keine Bindungen. Der Arbeitnehmer ist zudem nicht nur ein Kostenfaktor. Arbeit "ist der unmittelbare Ausfluß der menschlichen Natur und deshalb wertvoller als alle Reichtümer an äußeren Gütern, denen ihrer Natur nach nur der Wert eines Mittels zukommt", heißt es in der Enzyklika "Mater et magistra". Johannes Paul II. hat diesen Vorrang der Arbeit in "Laborem exercens" unmißverständlich bestätigt.                                                               Wenn der Billigste auf dem Weltmarkt gewinnt, wird Ausbeutung zur globalen Erfolgsbedingung. Bergwerke in China ohne Arbeitsschutz sind billiger. Kinder-arbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika ist billiger als Erwachsenenarbeit in Europa. Globale Organisationen, wie beispielsweise die ILO, müßen globale So- zialstandards durchsetzen. Der Arbeitnehmer ist nicht nur Arbeitskraft, die aus- gewechselt werden kann wie Ersatzteile. Wenn Gewinne in der Regel steigen, je mehr Arbeitnehmer entlassen werden, dann ist diese Unternehmensordnung krank.                                                                                                              Schon jeder vierte Arbeitnehmer unter 24 Jahren arbeitet in Deutschland nur noch in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Wie soll er eine Familie gründen? Er hat kein verläßliches Einkommen. Von der Bank erhält er deshalb noch nicht einmal mehr Kredit. Auf der anderen Seite haben bereits 95 Prozent der Dollar- billionen, die täglich auf der globalen Datenautobahn den Besitzer wechseln, mit realen Warenverkehr und Produktion nichts mehr zu tun. Der Finanztransfer ist virtueller Natur und dient spekulativen Zwecken. Unternehmen werden zer-legt, fusioniert, ge- und verkauft, ohne daß dies irgendeinen Zusammenhang mit Wertschöpfung und Arbeit hat. Wenn der Börsenwert unter den Bilanzwert sinkt droht Übernahme mit anschließendem Verkauf. Firmen degenieren zu Trägern von Logos, unter deren Dach vornehmlich Marketing organisiert ist. Die Arbeit schaffen die anderen. Das ist ein virtuelles Verfahren, das zu realem Profit führt.                                                                                                        Eigentum in Arbeitnehmerhand könnte dem vagabundierenden Kapital wieder Bodenhaftung und Eigentum wieder Legitimation durch Arbeit verschaffen...     Wirtschaftsordnung ist zudem nicht ohne Sozialordnung möglich. Die Sozialpoli-tik ist nicht der Lazarettwagen, der hinter der Wirtschaftsentwicklung herfährt und die Fußkranken auflädt. Wohin eine Wirtschaftsordnung führt, die auf Rechts- und Sozialstaat verzichtet, kann in Moskau studiert werden. Unter den Bedingungen einer rasenden Beschleunigung, die sich als Fortschritt tarnt, wird Bewahren zur Lebensrettung der Humanität. Progressiv erweist sich als konser-vativ.  

Die konservativen Aufgaben der christlichen Sozialbewegung liegen darin:

- den Menschen bewahren vor einem genmanipulierten Homunkulus;                  - den Arbeitnehmer davor bewahren, zu Jobhobbern zu degenerieren, die sich der Familie, Freundschaft, Nachbarschaft und Heimat entledigen müssen, um jederzeit und allerorts verfügbar zu sein;                                                             - Arbeit und Eigentum bewahren vor einer Spekulationswirtschaft, die sich von Wertschöpfung abgekoppelt hat;                                                                          - Unternehmen davor bewahren, eine Filiale der Börse zu werden;                       - die Schöpfung bewahren vor Raubbau;                                                               - den Menchen bewahren vor der grenzenlosen Machbarkeit.         

Gebraucht wird eine christliche Sozialbewegung, die etwas bewegt. Nie war die Sehnsucht nach einer Ordnung jenseits von Kapitalismus und Sozialismus größer als jetzt. Nie waren die Chancen der christlichen Soziallehre größer. Das ist ihr Kairos, ihre Gelegenheit.

History of Christian Social Movement (II)

In der Weimarer Republik war der "rote Kaplan" Heinrich Brauns (1868-1939) in zwölf Kabi-netten Reichsarbeitsminister. Er setzte das weltweit erste Betriebsrätegesetz, das Arbeits-schutzgesetz und die Arbeitslosenversicherung durch. Adam Stegerwald (1874-1945), Vorsit-zender der Christlichen Gewerkschaften (bis zu zwei Millionen Mitglieder), von 1930-32 Reichsarbeitsminister, forderte 1920 auf dem Essener Kongreß visionär die Einheitsgewerk- schaft und eine christdemokratische, arbeitnehmerfreundliche Volkspartei.

Bild von Gottfried Könzgen, Arbeitersekretär der KAB, Märtyrer der katholischen Sozialbewegung, geb. 1886, ermordet im KZ Mauthausen am 15. März 1945 (Adam-Stegerwald-Haus, Königswinter)

Die christlichen Gewerkschaftler Nikolaus Groß (Redakteur der "Ketteler Wacht") und Bernhard Letterhaus (Sekretär der Katholischen Arbeitnehmerbewegung) wurden als Regimekritiker nach dem Attentat des 20. Juli 1945 hingerichtet. Christliche Gewerkschaftler waren maßgeb-lich an der Gründung der Union beteiligt. So die aus dem Widerstand kommenden ersten CDA-Vorsitzenden Jakob Kaiser (1888-1961/Gesamtdeutscher Min.), Karl Arnold (1901-1958/ Ministerpräsident in NRW, 1947-1956) und Johannes Albers (1890-1963/"Büro Albers"). Mini-ster für Arbeits- und Sozialordnung in Kabinetten Adenauers waren Anton Storch (1892-1970/ Betriebsverfassungsgesetz, Montanmitbestimmung, Rentenreform) und Theodor Blank (1905, Elz an der Lahn; Arbeitnehmersprecher im Frankfurter Wirtschaftsrat). In der großen Koali-tion setzte Hans Katzer das Berufsbildungsgesetz, die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall und das Arbeitsförderungsgesetz durch. Erster Vorsitzender der EU-CDA, 1977. Dies ist heute Elmar Brok, MdEP. Egon Klepsch, Koblenz, war Präsident des Europarlamentes 1992-94. Bereits 1966 Gründung der Weltbewegung der Christlichen Arbeitnehmer (WBCA) in Rom. Heutiger CARE-Chef Heribert Scharrenbroich war später Generalsekretär. Heiner Geiß-ler und "Nobbi" Blüm gehörten zu den rhetorisch besten und inhaltlich originellsten Debat- tenrednern der Ära Kohl. Geißler war dreizehn Jahre Minister in Bonn und Mainz, 12 Jahre CDU-Generalsekretär ("Neue Soziale Frage"), Blüm schuf die Pflegeversicherung als fünfte Säule der Sozialversicherung, Erziehungsgeld und -urlaub. Pfarrer Rainer Eppelmann, DDR- Bürgerrechtler, führte die Christlich-Sozialen nach der Wiedervereinigung, um den sozialen und ökologischen Einfluß in der Union zu stärken. Bescheidenheit, Stetigkeit und Vertrauens- würdigkeit verkörperte der Lahnsteiner Rudi Geil, Sozial-, dann Wirtschafts- und später In-nenminister in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern (Windthorst-Ehrenrief der CDA). Der gelernte Maschinenschlosser und bodenständige Münsterländer Karl-Josef Lau-mann, NRW-Arbeits- und Sozialminister, früher einer von drei Arbeitern führt nun die CDA. Mit Horst Seehofer (CSA-Vorsitzender) ist trotz erheblicher Widerstände seitens Angela Merkel wieder ein Repräsentant der Christlich-Sozialen Bewegung im Kabinett vertreten. Gerald Weiß, 1. stellv. Bundesvorsitzender ist Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe im Bun-destag und Vorsitzender des Bundestagsausschußes Arbeit und Soziales.

 

DGB-Vize Ingrid Sehrbrock im Gespräch mit dem KAB-Bundesvorsitzenden Georg Hupfauer  - dahinter verschmitzt lächelnd: Nobbi Blüm