_______________________________________________________________________ Please read below: Christlichkeit und orthodoxer Beitrag im europäischen Konti- nent, Konstantin Nikolakopoulos, Politische Studien, Juli/August 2004     LINKS: Europäische Volkspartei: www.epp-eu.org    www.botschaft-frankreich.de

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Wahrer Friede und wahre Kultur:

~ Christlicher Glaube und Europa

Predigt von Joseph Ratzinger in Krakau am 13. September 1980 aus Anlaß des Besuches einer Delegation der Deutschen Bischofskonferenz beim polnischen Episkopat.

Liebe Brüder und Schwestern!

Zunächst möchte ich meine herzliche Freude und meinen Dank darüber aus-drücken, daß ich hier in der ehrwürdigen Bischofsstadt Krakau predigen darf, die uns allen, der ganzen Christenheit, noch teurer geworden ist, seitdem ihr Bischof vor zwei Jahren zum Nachfolger Petri und zum obersten Hirten der ganzen Kirche gewählt worden ist. Nach der dunklen Geschichte, die wir im Ver-hältnis zwischen Deutschen und Polen hinter uns haben, ist mir diese Einladung ein besonders kostbares Zeichen für die einende und versöhnende Macht des Glaubens, der die Kraft zur Vergebung gibt und Brüderlichkeit schafft,wo der Geist des Unglaubens Haß und Feindschaft gesät hatte. Für diese Gabe der Ver- gebung, des Friedens, der Brüderlichkeit aus dem Glauben möchte ich  vorab sehr herzlich danken. 

Krakau war seit Jahrhunderten eine der großen europäischen Metropolen. An seiner Univer-sität haben in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts ungefähr ebenso viel Ausländer wie Inländer studiert. Ich erinnere nur an zwei große Namen, die mit dieser Stadt eng verbunden sind: Ni-kolaus Kopernikus und Veit Stoß. An beiden wird das europäische Maß dieser Stadt sichtbar; sie lassen vor uns die Weite und die Offenheit einer Epoche entstehen, in der Europa konkrete Realität war. So legt es sich gerade in dieser Stadt nahe, zu fragen: Was hat der christliche Glaube mit Europa zu tun? Was bedeutet Europa für den Glauben der Christen? ... Europa ist Europa geworden durch den christlichen Glauben, der das Erbe Israels in sich trägt, aber zu-gleich das Beste des griechischen und des römischen Geistes in sich aufgenommen hat. Später sind die germanischen und die slawischen Völker in den Raum dieses Glaubens eingetreten; sie haben ihm neue Gestalten und Formen gegeben, aber zugleich haben sie von ihm erst ihre Geschichte und ihre Identität empfangen. Aber nun müssen wir fragen: Was sind eigentlich die besonderen Kennzeichen, die Europa zu Europa machen? Ich möchte dreierlei nennen:                                                                                                                                                     1. Was Paulus dem Makedonier gebracht hat (Apg. 16,9), war zunächst einfach die Gestalt Jesu Christi, des menschgewordenen Gottessohnes. Es war die Begegnung mit ihm, der wahrer Gott vom wahren Gott ist und zugleich wahrer Mensch, der für uns gelitten hat, gekreuzigt und begraben wurde; der auferstanden ist am 3. Tag und die Menschennatur mitgenommen hat in die Herrlichkeit Gottes hinein, um uns allen eine "Wohnung zubereiten" (Jo.14,2).                   Die Gestalt Jesu Christi steht in der Mitte der europäsichen Geschichte und sie ist die Grundlage des wahren Humanismus, einer neuen Menschlichkeit. Denn wenn Gott Mensch geworden ist, dann empfängt der Mensch eine ganz neue Würde. Wenn der Mensch nur das Produkt einer zufälligen Evolution ist, dann ist sein Menschsein selbst ein Zufall und dann kann man ihn auch einmal scheinbar höheren Zwecken opfern. Wenn aber Gott jeden ein-zelnen Menschen geschaffen und gewollt hat, dann ist es ganz anders. Und wenn Gott selbst ein Mensch geworden ist, wenn er sogar für den  Menschen gelitten hat, dann nimmt der Mensch an Gottes eigener Würde teil. Wer sich am Menschen vergreift, der greift dann Gott selber an. Die Ehrfurcht vor der Menschenwürde und die Achtung vor den Menschenrechten eines jeden einzelnen Menschen, das sind die Früchte des Glaubens an die Menschwerdung Gottes. Darum ist der Glaube an Jesus Christus die Grundlage jedes wirklichen Fortschrittes. Wer um eines vermeintlich höheren Fortschritts willen den Glauben an Jesus Christus auf-gibt, der gibt die Grundlage der Menschenwürde auf.                                                                        2. Aus diesem christlichen Humanismus, dem Humanismus der Menschwerdung, hat sich das Besondere der christlichen Kultur entwickelt. Alle ihre spezifischen Kennzeichen lassen sich zutiefst auf den Glauben an die Menschwerdung zurückführen und lösen sich auf, wenn man diesen Glauben wegnimmt. Ich möchte nur einige dieser Kennzei-chen  nennen.                                                                                                                                           a. Die chistliche Kultur kann niemals ausschließlich eine Kultur des Habens sein. Sie kann niemals im materiellen Besitz und Genuß den höchsten Wert des Menschen sehen. Sie verach-tet das Materielle nicht. Gottes Sohn ist ja Mensch geworden. Er hat im Leib gelebt; er ist leibhaftig auferstanden und hat den Leib in die himmlische Herrlichkeit mitgenommen; Das ist die höchste Verheißung für die Materie, die denkbar ist. Deswegen achtet die christliche Kultur darauf, daß jeder Mensch in Würde leben kann und den gerechten Anteil an den mate-riellen Gütern dieser Erde erhält. Aber das höchste Gut des Menschen ist der materielle Besitz nicht. Wir erleben im Westen, wie die Anbetung des Konsums würdelos macht. Er verfällt dem Egoismus; aber der Verachtung des anderen Menschen folgt die Selbstverachtung fast notwen-dig nach. Wenn der Mensch nichts Höheres zu erwarten hat als nur materielle Dinge, dann wird ihm die ganze Welt ekelhaft und leer. Deshalb gilt in der christlichen Kultur der Vorrang der sittlichen Werte vor den materiellen Werten. Deshalb ist die Ehre Gottes für die christliche Kultur ein öffentlicher Wert. Die großen Kathedralen und Kirchen, wie hier in Krakau der Dom und die Marienkirche und so viele andere, sind ein Ausdruck dieser Überzeugung, daß die Ehre Gottes ein öffentliches und gemeinsames Gut des Menschen ist...                                                                                                                                                             b. Zur christlichen Kultur gehört die Würde des Gewissens und die Anerkennung seiner Rech-te. Das Gewissen ist der Ausdruck dafür, daß Gott jeden einzelnen von uns anspricht und daß jeder einzelne vor den Augen und vor dem Her-zen Gottes steht. So bedeutet das Gewissen zu-gleich auch die Pflicht, daß wir hörsam werden auf Gottes Anruf. Es bedeutet ja nicht, daß je-der tun kann, was er will, sondern daß jeder Gottes Willen erkennen kann und sich ihm öffnen muß. Respekt vor dem Gewissen bedeutet zugeich, Freiheit zu glauben: Niemand darf zum Glauben gezwungen werden, denn Gott will das freie Ja desMenschen. Aber jeder muß das Recht haben, zu glauben und seinem Gewissen gemäß zu leben. Im Gedanken des Gewissens ist zugleich der Gedanke der Toleranz eingeschlossen, der rechten Achtung voreinander, der rechten Großzügigkeit miteinander.                                                                                                                                               c. Zu den Grundlagen der europäischen Kultur gehört die Würde von Ehe und Familie, so wie der Herr sie dem Willen des Schöpfers gemäß erneuert hat als die lebenslange Verbindung eines Mannes mit einer Frau (Mk. 10,1-12). Ohne die christliche Ehe gibt es keine christliche Kultur. Erst die Überwindung der Polygamie und die Endgültigkeit der ehelichen Treue hat das Spezifische der europäischen Kultur aufsteigen lassen. Sie zerfällt, wo diese grundle-gende, schöpfungsgemäße Ordnungsform der menschlichen Dinge endet...                                  d. Die christliche Kultur ist eine Kultur der Nächstenliebe, eine Kultur der Barmherzigkeit und eben darum auch eine Kultur der sozialen Gerechtigkeit. Zu ihr gehört von Anfang an ganz besonders die Liebe zu den Schwachen und zu den Kranken, Armen, Alten - zu denen, die irdisch nutzlos sind. Eine der größten Barbareien des Nationalsozialismus war die Ermordung der Geisteskranken, hinter der die Bemessung des Menschen nach seinem Nutzwert für die Gesellschaft stand. Damit hatte sich diese Weltanschauung zutiefst als eine Abwendung von der christlichen Kultur Europas selbst gebrandmarkt.                                                                   Die christliche Kultur hat nicht nur die Kathedralen zur Ehre Gottes gebaut, sondern sie hat ebenso die Spitäler für die Kranken und die Alten errichtet, auch dies zur Ehre Gottes, den sie im leidenden Menschen ehrte. Sie hat diese Spitäler unter den besonderen Schutz des Heiligen Geistes gestellt, der die göttliche Liebe, die Liebe zwischen Vater und Sohn ist: Ihn hat man verehrt im Mitlieben mit seiner Liebe; seinem Trost hat man anvertraut die in besonderer Weise des Trostes bedurften.  Die wahre europäische Kultur ist nicht nur eine Kultur des Verstandes, sondern eine Kultur des Herzens - eine Kultur, die sich vom Heiligen Geist erwärmen läßt und darum eine Kultur der Barmherzigkeit...                                                3. Damit komme ich zu einer letzten Eigentümlichkeit des Europäischen im christlichen Sinn. Europa ist immer zugleich national und übernational gewesen. Es hat in den einzelnen Nationen seine ganz besonderen Ausprägungen gefunden. Die Vielgestalt nationaler Kulturen gehört zum Reichtum des Europäischen. Aber in den besten Zeiten Europas gab es keine Abschließung der Nationen voneinander, sondern über die nationalen Grenzen hinaus grundlegende Organismen der Gemeinsamkeit, in denen die Einheit Europas gelebt wurde. So  war die Vielheit nicht Gegensatz, sondern  Befruchtung füreinander. Ich habe schon von den Universitäten und von den Künstlern gesprochen, für die es keine Grenzen gab. Wie Veit Stoß aus Nürnberg hier in Krakau sein größtes Werk geschaffen hat, so ist Jan Polack aus Krakau in München zu seiner künstlerischen Reife gekommen und hat hier Werke von unvergäng-licher Schönheit geschaffen. Über die Nationen hin gingen die Orden, die Konzilien und die Grundelemente des europäischen Rechtssystems. Über die Grenzen hin war vor allem Rom die verbindende Mitte...                                                                                                                                In der Mitte meiner Bischofsstadt München steht die Mariensäule, die der bayrische Kurfürst Maximilian 1638 in der furchtbaren Bedrängnis des 30jährigen Krieges errichtet hat. Sie sollte nicht nur die Mitte dieser Stadt sein, sondern die Mitte des ganzen Landes und in der Tat werden noch  heute alle Entfernungen bei uns von diesem Punkt aus gemessen, Maria ist der stille Mittelpunkt aller unserer Straße geblieben.                                                                                                                                                     Das Bild der Mutter des Herrn gehört zur Herzensmitte der europäischen Kultur. Es gehört zur Herzmitte unseres Glaubens. Vor der Mutter verstehen wir uns alle; vor ihr erkennen wir uns alle als Kinder. Von ihr lernen wir Vertrauen; mit ihr lernen wir glauben und beten. Die gemeinsame Mutter  gibt uns eine gemeinsame Sprache; so verschieden auch die Lieder und die Gebete in den einzelnen Ländern sind - sie haben alle den gleichen Klang des Herzens: im Anblick zur Mutter endet der Trotz und endet die Feindschaft. Sie schenkt die Versöhnung, sie führt zum Sohn... 

Christlichkeit und orthodoxer Bei- trag im europäischen Kontinent

Konstantin Nikolakopoulus, Politische Studien, Juli/August 2004, 55. Jahrgang   

"...Das Christentum faßte bereits im 1. Jahrhundert nach Christus auf europäischem Boden Fuß... Aus christlicher Sicht gilt Paulus, der Apostel der Heiden, als der geistige Erzeuger und Vater von Europa. Er ist der christliche Pädagoge schlechthin, wie er sich in seinem ersten Koritherbrief selbst nennt ( 1 Kor 4,14-15). Bezeichnenderweise werden die paulinisch-christ-lichen Ursprünge Europas in der offiziellen Proklamation der Kirche Griechenlands zum Ver-fassungsvertrag der Europäischen Union folgendermaßen angesprochen: "While the history of Europe often testifies to deviations from the genuine message of the Gospel, still the people of Europe did not cease to consider as the highest criterion of human deeds the values wich derive from the Holy Spirit of Christ. This holds true even when they deny or ignore the origins of these values, ascribing them to an irreligious humanism."

 Nach orthoxem Verständnis ist Europa eine konkrete politische, geistliche und kulturelle Größe, die im ersten Jahrtausend nach der Zeitwende vom Christentum der bis dahin unge-trennten Kirche Christi und weiterhin vom christlichen Glauben in seiner westlichen und östlichen Entfaltung geprägt wurde... Beseitigt müssen unbedingt Auffassungen, Mißver-stännisse oder auch beabsichtigte Ausgrenzungen von Teilen Europas mit der naiven Begrün-dung, dort an den slowenischen oder kroatischen Grenzen höre eben Europa auf, dort beginne der Orient, dort hätten sich die Grenzen des alten Byzanz befunden. Ausgerechnet Byzanz, das oströmiche Reich dient als eine zentrales Beispiel für die gespaltene Einstellung vieler abend-ländischer Menschen der Aufklärung gegenüber dem griechisch und orthodox geprägten Osten. Einerseits bewunderte man Altgriechenland und seine klassische Zivilisation, Kunst und Kultur, während im Rahmen eines verkannten nd negativ gemeinten Byzantismus ein deutlich dunkles Bild über Byzanz vorherrschend war. allmählich wird auch der westlichen Geschichtsschreibung bewußt, daß das insgesamt 1129 Jahre (324-1453 n. Chr.) herrshende, zeitweise westlich vom Atlantik bis weitöstlich zum Kaukasus reichende Byzantinische Reich eines der historisch, kulturell, sozial wichtigsten Reiche der Weltgeschichte überhaupt darstellt...                                                                                   

Es muß mit Nachdruck betont werden, daß das Christentum einen der wichtigsten Bestandteile der europäischen Identität ausmacht. Ein Europäer läßt sich weder anhand seines Volksstam-mes, seiner Sprache noch seiner Nationalität bestimmen und abgrenzen, denn auf dem Boden Europas existieren mehrere Sprachen, Nationen und Kulturen. Prof. Paul Valéry pflegte sei-nen Studenten in Zürich Folgendes zu sagen: Europäer ist derjenige, der einem Volk angehört, welches das römsiche Recht, die griechische humanistische Bildung und die christliche Lehre sich zu Eigen gemacht hat. Diese dreifache Fundierung des europäischen Geistes, für dessen Ausgestaltung das Christentum eine zusammenfügende Rolle zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen Osten gespielt hat. Dementsprechend hat die Römisch-katho-lische Kirche zurecht den lateinischen heiligen Benedikt von Nursia und 1980 auch die grie-chischen Slawenapostel Kyrill und Methodios zu Schutzpatronen Europas proklamiert...

In seiner am 12. Juni 2003 in der rumänischen Universität von Iasi gehaltenen Festrede an-läßlich seiner Ernennung zum Ehrendoktor der Medizinischen Fakultät wiederholte der Erz-bischof von Griechenland die Forderung nach Aufnahme des christlichen Gottesbezugs in die EU-Verfassung und betonte mit aller Deutlichkeit: "Wir fordern nicht, daß alle Europäer Christen sein. Die religiöse Freiheit und Toleranz stammt als Forderung nicht nur von den Nicht-Christen, sondern auch von uns (...) Das, was wir fordern, ist, daß wir das Gesicht Euro-pas nicht weglöschen sollen. Wir sollten Europa nicht verarmen und veröden lassen, indem wir seine Zivilisation, seine Sprachen und seine Traditionen als nutzlos wegschmeißen."