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"WENNN DIE POLITIK NUR NOCH DER NACHGANG IST ZU DEM, WAS DIE WIRTSCHAFT VORGIBT, DANN KANN DAS FÜR DAS DEMOKRATISCHE SYSTEM GEFÄHRLICH WERDEN."       BISCHOF REINHARD MARX, TRIER   _______________________________________________________________________

Kirche muß politisch sein  

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SEINE MUTTER HATTE ES SCHON FRÜH VORAUSGESAGT: DER WIRD EIN-MAL PRIESTER. REINHARD MARX WURDE SOGAR BISCHOF. VOM EL-TERNHAUS, DER VATER WAR SCHLOSSER, HAT DER 1953 IN GESEKE GE-BORENE HIRTE VON TRIER SEIN ENGAGEMENT IN SOZIALPOLITISCHEN FRAGEN MITBEKOMMEN. NACH DER VIKARSZEIT WURDE ER ZUM GEIST-LICHEN REKTOR DER KOMMENDE, DES SOZIALINSTITUTS DES ERZ-BISTUMS PADERBORN,  ERNANNT UND STEHT SEIT 2001 AUCH DER KOM-MISSION FÜR GESELLSCHAFTLICHE FRAGEN DER DEUTSCHEN BI-SCHOFSKONFERENZ VOR. MARX HAT IN PADERBORN, MÜNSTER, BO-CHUM UND PARIS THEOLOGIE UND PHILOSOPHIE STUDIERT UND ÜBER EIN THEMA DER CHRISTLICHEN GESELLSCHAFTSLEHRE PROMOVIERT. UNTER DEM EINDRUCK DER RAPIDE ZUNEHMENDEN MASSENARBEITSLO-SIGKEIT IM RUHRGEBIET DER ACHTZIGER JAHRE ERINNERTE ER DA-RAN, DAS PRINZIP DES VORRANGS DER ARBEIT GEGENÜBER DEM KAPI-TAL NICHT IN SEIN GEGENTEIL ZU VERKEHREN. WER UNVERSCHULDET IN NOT GERATEN SEI, MÜSSE AUF HILFE DURCH DIE SOLIDARGEMEIN-SCHAFT ZÄHLEN KÖNNEN. ZUGLEICH ABER MÜSSE JEDER EINZELNE NACH SEINEN MÖGLICHKEITEN AUCH FÜR SICH SELBER SORGE TRAGEN, UM ZUM ERHALT DES SOLIDARSYSTEMS BEIZUTRAGEN: "SOLIDARITÄT BILDET KEINEN GEGENSATZ ZUR EIGENVERANTWORTUNG." (RM,51/2-2006)_______________________________________________________________________

Etwa jeder zwölfte Einwohner hierzulande lebt bereits unterhalb der Armutsgrenze, darunter allein jedes vierte Kind im Osten und jedes neunte im Westen. Wie könnten wir das ändern?

Die Armut wird nicht nur dadurch überwunden, daß ich den Armen Geld gebe, sondern Armut und Benachteili-gungen werden überwunden, indem diese Menschen eine Chance bekommen. Die Bildungsfrage ist ein entschei-dender Punkt der Armutsüberwindung. Zwanzig Prozent der Schulabgänger haben keinen Abschluß oder brechen die Ausbildung ab. Damit ist die Armut vorprogrammiert. Deshalb ist angesichts der enormen Verschuldung der Öffentlichen Hand, die den Staat in vielen Bereichen handlungsunfähig macht, an einem gerechten Ausgleich über das Steuersystem zu arbeiten - auch im Hinblick auf kommende Generationen. Selbstverständlich betrifft das alle, aberr besonders auch die großen Vermögen, die ver-erbt werden. Ein gutes Gemeinwesen hat seinen Preis.

Wir reden so viel von Geld. Wieviel verdient eigentlich ein Bischof? 

Ich habe ein B-Gehalt. Also, bei mir landen auf dem Konto 3.300 oder 3.400 € netto. Davon muß ich meinen Haushalt bezahlen und noch einiges mehr. wie alle mer-ke ich unter anderem, wie die Energiekosten gestiegen sind.

Woher kommt eigenlich Ihr Interesse an ökonomischen Themen?

Der Erzbischof von Paderborn hat mich eines Tages in die Pflicht genommen und mit die Leitung des Sozialin-stituts der Erzdiözese in Dortmund übertragen. Er brauchte jemanden, der sich mit der katholichen Sozial-lehre beschäftigt, und glaubte, ich sei der Richtige. Er hat mit dann auferlegt, mit einem Thema der Sozialwis-senschaften zu promovieren, um meine Kenntnisse zu vertiefen. Ein wenig habe ich auch von zuhause mitbe-kommen, weil mein Vater ein engagierter Gewerkschaft-ler war und wir daheim oft über politische und wirt-schaftliche Fragen diskutiert haben. Er hat immer ge-sagt, Oswald von Nell-Breuning sei der Einzige in der Katholischen Kirche, der etweas von den Arbeitern und ihrer Situation versteht. Mein Vater war Schlossermeister in einem Zementwerk.

Haben Sie schon einmal erwogen, sich einer Gewerk-schaft anzuschließen?

Ich bin damals in Dortmund Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft geworden. Einer Partei gehöre ich jedoch nicht an. Priester sollten nicht Mitglied in einer Partei sein, was nicht heißt, daß sie un-politisch sein sollen. Die Kirche hat vielmehr die Pflicht, sich zum Wohl der Menschen und der Gesellschaft poli-tisch zu äußern.

So, wie Sie es getan haben, als Sie auf einer Diözesanta-gung vor der Gefahr eines Umkippens des Kapitalismus in ein totalitäres System gewarnt haben. Wie war das ge-meint?

Wenn nur noch die Finanzinvestoren und Kapitalverwer-tungsinteressen die Welt dominieren, dann ist der Primat der Gestaltung nach ordnungspolitischen und ethischen Grundsätzen außer Kraft gesetzt. Wenn die Politik nur noch der Nachgang ist zu dem, was die Wirtschaft vor-gibt, dann kann das für das demokratische System ge-fährlich werden. Entsprechende Tendenzen sind spür-bar. Ich konnte mich allerdings auch davon überzeugen, daß es noch Unternehmer gibt, bei denen die Einsicht vorherrscht, daß die Wirtschaft um des Menschen willen da ist und nicht der Mensch für die Wirtschaft. Das ist das Leitmotiv der Katholischen Soziallehre.